Andreas Gehrke, Räume – Espaces, Foto: Andreas Gehrke
Leere
ist nur scheinbar wenig. Dahinter verbirgt sich eine Fülle von
Bedeutungen. Sie reicht von aufgegebenen und zurückgelassenen
Räumen, unbestimmten und sich selbst überlassenen Flächen bis hin
zu Mahnmal gewordenen historischen Leerstellen. Sie umfasst aber auch
die geplante und gestaltete Leere, Freiräume in verdichteten urbanen
Zusammenhängen, die Aura des Ausstellungsraumes oder die
Erhabenheit repräsentativer Bauten.
Andreas Gehrke: Räume – Espaces
7. Oktober 2021 –25. Februar 2022
Goethe-Institut, Bordeaux
Leere
ist nur scheinbar wenig. Dahinter verbirgt sich eine Fülle von
Bedeutungen. Sie reicht von aufgegebenen und zurückgelassenen
Räumen, unbestimmten und sich selbst überlassenen Flächen bis hin
zu Mahnmal gewordenen historischen Leerstellen. Sie umfasst aber auch
die geplante und gestaltete Leere, Freiräume in verdichteten urbanen
Zusammenhängen, die Aura des Ausstellungsraumes oder die
Erhabenheit repräsentativer Bauten.
Andreas
Gehrke stellt die Ästhetik der Leere in den Mittelpunkt seines
fotografischen Werks. In der Ausstellung
Räume
– Espaces
zeigt
er das Nebeneinander und Ineinandergreifen von Fülle und Verlust,
Ordnung und Chaos, Präsenz und Abwesenheit sowie Zufall und Konzept
als wechselseitige Zusammenhänge unserer gebauten Umwelt. Er
konzipiert seine Raumansichten als Porträts und findet auch in
menschenleeren Gefügen ein konkretes Gegenüber. Das marmorierte
Interieur im Museum of Modern Art, New York wird durch Perspektivwahl
und Beschnitt zu einer abstrakten Komposition, die Glasvitrinen in
der James-Simon-Galerie auf der Berliner Museumsinsel erinnern in
ihrer Anordnung und Überlagerung an Objekte der Minimal Art. Andreas
Gehrkes Fotografie mag zunächst sachlich wirken, entfaltet jedoch
bei näherem Betrachten eine ganz eigene Sichtweise, die den
Räumen eine bildliche Qualität auch fernab ihrer Geschichte und
Funktion zugesteht.
Andreas
Gehrke ist Autodidakt, seine Arbeiten wurden u.a. im Deutschen
Architekturmuseum, Frankfurt am Main und im PS1, New York
ausgestellt. 1975 in Ostberlin geboren, beginnt er im Alter von 12
Jahren als Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Fotografie im
Pionierpalast Berlin zu fotografieren. Nach der Wiedervereinigung
kommt er mit den Fotobüchern von Walker Evans, Lewis Baltz, John
Gossage und Michael Schmidt in Kontakt, die sein Werk und seinen
Werdegang beeinflussen. Unter dem Pseudonym Noshe arbeitet er seit
1999 international und realisiert Auftragsarbeiten für
Architekturbüros wie David Chipperfield und Sauerbruch Hutton oder
Magazine und Verlage wie Wallpaper*, AD Germany, Distanz und Hatje
Cantz. 2013 gründet Andreas Gehrke seinen eigenen Verlag Drittel
Books und veröffentlicht zahlreiche Fotobücher, etwa von Martin
Eberle, Julian Faulhaber und Sara-Lena Maierhofer. Zuletzt erschien
seine Publikation Berlin,
das Porträt einer Stadt, über die man alles zu wissen glaubt. Sechs
Jahre nahm er sich Zeit, um sich seiner Heimatstadt abseits der
bekannten Orte und Klischees zu nähern. Wie in der Arbeit
Brandenburg
widersetzt er sich einer reinen Dokumentarfotografie, um mittels
subtiler Anspielungen auf die strukturellen und sozialen
Veränderungen aufmerksam zu machen.
Andreas Gehrke, Räume – Espaces, Foto: Andreas Gehrke
Assoziation und Revision
Der
Kontinuität und Selbstreferenz von Architektur setzt Andreas Gehrke
die Erfahrung von Veränderung, Umnutzung und
Bedeutungsverschiebung entgegen. Eine
Bunkeranlage aus dem Zweiten
Weltkrieg wird zum Sitz der Sammlung Boros, und auf dem ehemaligen
Industrieareal der Zeche und Kokerei Zollverein entsteht ein
Kulturstandort mit Schaudepot, das seine eigene Geschichte ausstellt.
Auch die politische Dimension nimmt er in den Blick: Im Zuge der
deutschen Wiedervereinigung zieht der Deutsche Bundestag von Bonn
nach Berlin und knüpft mit seinem Sitz im Reichstag an die dort 1918
ausgerufene Weimarer Republik an. Der viel diskutierte Nachbau des
Berliner Stadtschlosses weist zurück bis auf das Adelsgeschlecht der
Hohenzollern. Nichts erinnert mehr an den Palast der Republik, der
einst als Wahrzeichen der DDR an eben jener Stelle stand.
Andreas Gehrke, Räume – Espaces, Foto: Andreas Gehrke
Kontrollierte Leere
Kaum
ein Raum ist so sehr Konvention geworden wie der leere
Ausstellungsraum. Weiße Wände, kubisches Format, minimalistische
Gestaltung, gleichmäßige Beleuchtung: In diesem vermeintlich
neutralen Ensemble kann die Kunst ohne visuelle Störungen in
Erscheinung treten. Doch die kontrollierte Leere schafft ihren
eigenen Kontext. Ohne Verbindungen zu einem Außen und losgelöst von
Ort und Zeit kann in dieser räumlichen Konstruktion alles Kunst
werden. Andreas Gehrke fotografiert in Ausstellungshäusern und
Galerien nach ihrer baulichen Fertigstellung, aber noch vor der
Eröffnung. In diesem kurzen Moment, in dem die Kunst noch nicht
präsent ist, zeigen sich die Räume selbst zwischen zurückhaltender
Hülle und Werk an sich.
Andreas Gehrke, Räume – Espaces, Foto: Andreas Gehrke
Unbestimmte Moderne
In
seiner Trilogie über
leerstehende Gebäude der Nachkriegsmoderne gibt Andreas Gehrke
Einblicke in ehemalige Firmensitze von Wirtschaftsunternehmen,
die das politische, soziale und wirtschaftliche Ansehen der
jungen Bundesrepublik geprägt haben. Die verlassenen Hochhäuser in
Hamburg, in denen das Nachrichtenmagazin Der Spiegel untergebracht
war, die alte Deutschlandzentrale des US-amerikanischen
Technologie- und Beratungsriesen IBM in Stuttgart-Vaihingen und die
Geschäftsstelle der einst größten und inzwischen aufgelösten
Versandhandels- und Warenhauskette Quelle in Nürnberg: Die
Serie zeigt die Innenräume bemerkenswerter Wahrzeichen moderner
Architektur, die sich nach dem Weggang der Konzerne in einem Moment
der Schwebe befinden, der ihre repräsentative Funktion noch erahnen
lässt, aber auch von Verfall und Neuanfang zeugt.
Andreas Gehrke: Räume – Espaces
7. Oktober 2021 –25. Februar 2022
Goethe-Institut, Bordeaux