Berit Schneidereit, placement I, Silbergelatineabzüge auf Barytpapier, 2022; Jennifer Bannert, Pacific Avenue, Acryl auf Aluminium, 2023.

Der Blick in den Himmel, auf Sterne, Wolken, Dunst und Nebel. Umrisse von Pflanzen, die Sicht auf das Blattwerk eines wuchernden Gartens. Jennifer Bannert und Berit Schneidereit verbindet die scheinbare Flüchtigkeit ihrer Motive, die in ihrer Betrachtung eine ungeahnte konzeptuelle und poetische Tiefe entfalten. Inmitten der barocken Szenerie von Schloss Morsbroich, mit ihren überbordenden Verzierungen, Wandfarben und Spiegelflächen entsteht eine Auseinandersetzung mit Licht und Dunkelheit, Innen und Außen sowie Natur und Kultur, die an die Vorstellungen jener Stilepoche anschließt und sie mit gegenwärtigen Fragestellungen verknüpft.

Die künstlerische Praxis von Berit Schneidereit impliziert immer auch ein Nachdenken über die Geschichte der Fotografie und die Konstitution ihrer Bilder. Entgegen gängigen Lesarten als Medium der Visualisierung und Wirklichkeitsreferenz, beruft sie sich auf den Konstruktionscharakter fotografischer Erzeugnisse und konzipiert ihre Arbeiten in einem Prozess der Distanzierung von den ursprünglichen Bildquellen und hin zu einem autonomen Bildwerk. Mittels vielfältiger Techniken erzeugt Berit Schneidereit Konstellationen aus Nähe und Ferne, Realität und Suggestion, womit sie ein beständiges Changieren zwischen Bildraum und Realraum entwirft.

Augenscheinlich wird das bei placement I, ein dreiteiliges Arrangement von Silbergelatineabzügen auf Barytpapier an mobilen Metallgestellen. In diesem dichten Ensemble von Blättern greift Berit Schneidereit die Bewegung in einem verwilderten Garten auf, in dem sich die Natur wieder ungehindert ausbreiten kann. Der fragmentarische Charakter des fotografischen Bildes als etwas Ausgeschnittenes, der Welt Entrissenes, wird durch das Nebeneinander der Abzüge zu einem größeren Bild zusammengesetzt. Die Möglichkeiten in der Dunkelkammer bestimmen hier die Grenzen der Darstellung. Die Unzulänglichkeiten bei der Belichtung der großen Formate erzeugen Ausschnitte, die uns immer tiefer in den Bildraum eines einzigen Motivs führen. Als Installation frei im Raum scheint das Außen nun buchstäblich in die Ausstellung einzutreten und als skulpturale Formation den Raum zu bewohnen.



Berit Schneidereit, retouch XIV und X, Fotogramm auf Silbergelatineabzug, 2022. 

Ausgangspunkt für die Serie retouch sind digitale Aufnahmen, die dann in der Dunkelkammer durch analoge Bearbeitungen verschaltet werden. Dazu nutzt Berit Schneidereit die bis in die Anfänge der Fotografie in den 1830er Jahren zurückreichende Verfahrensweise des Fotogramms. Das Bild entsteht bei ihr nicht nur mittels Negativ, sondern ebenso durch Rasterschablonen, die direkt auf dem Fotopapier belichtet werden. Auf diese Weise erzeugt sie Bilder, deren Kompositionen der scheinbar „flachen“ Konstitution von Fotografie widerstreben und kaum mehr eine Unterscheidung in Grund und Schichtung zulassen. Auch motivisch werden florale und technische Strukturen zusammengeführt, in denen die Überschneidung und Durchdringung von Natur und Kultur zum Ausdruck kommt – jedoch ohne sich der Mehrdeutigkeit zu entziehen und das Verhältnis von Bild und Störung aufzulösen.




Jennifer Bannert, La Forme du Ciel I und II, Öl auf Leinwand, 2020; Berit Schneidereit, retouch XIV, Fotogramm auf Silbergelatineabzug, 2022.

Ob auf grob strukturierten Leinwandstoffen oder reflektierenden Aluminiumplatten, die Malerei von Jennifer Bannertwird von einem diffusen Leuchten getragen. Die abstrakten Naturdarstellungen verzichten auf jedwede Perspektivierung und figurative Darstellung. Als Landschaftsbilder bieten sie keinerlei Kulisse für menschliche Aktivität. Stattdessen werden einzelne Phänomene von Natur selbst zu Handlungsträgern, als etwas Formloses und Unabgeschlossenes entziehen sie sich einer beherrschenden Instanz. Diese Erhabenheit findet ihr Gegenstück im gegenwärtigen Kontrollverlust des Menschen, der sich angesichts der Auswirkungen des Klimawandels einem neuen Verständnis der Kräfteverhältnisse im Anthropozän stellen muss.

Das Diptychon La Forme du Ciel entstand in Auseinandersetzung mit Flammarions Holzstich, einer nicht datierten Darstellung eines unbekannten Künstlers, die erstmals 1888 als Illustration in dem Unterkapitel „La forme du Ciel“ (Die Form des Himmels) in einer populärwissenschaftlichen Publikation zur Meteorologie von Camille Flammarion veröffentlicht wurde. Sie zeigt eine menschliche Figur, die sich am Horizont als Rand ihrer Welt befindet. Ihr Kopf aber dringt durch das Himmelsgewölbe und blickt auf eine ringartige Abfolge fremder Sphären. Jennifer Bannert begegnet dieser Darstellung mit einer gegenwärtigen Interpretation, die malerische Abstraktion und mathematische Vernunft miteinander in Beziehung setzt.



Jennifer Bannert, Untitled, Öl auf Aluminium, 2021.

Neben den Himmelskörpern sind meteorologische Phänomene wie Starkregen und Überflutungen wiederkehrende Themen in Jennifer Bannerts Werk. Das Malen mit Öl auf Aluminium, wie etwa bei Untitled, ist ein nur bedingt kalkulierbarer Prozess, da die Farben nicht wie auf einer Leinwand eingesaugt werden, sondern sich über die abweisende Oberfläche bewegen. Wie der malerische Prozess bleibt auch die Wahrnehmung der Malerei fluide. Der Blick auf reflektierende Flächen bezieht die Umgebung zwangsläufig ein, indem der Lichteinfall mit jeder Positionierung eine andere Farbwirkung erschafft. Ähnlich des Ineinanders von Natur und Kultur, sind wir als Betrachtende Teil eines Geschehens, in dem wir uns unaufhörlich um die Bilder bewegen und uns zu den Reflexionen verhalten, die von der metallischen Oberfläche ausgehen.

Der Dialog zwischen Berit Schneidereit und Jennifer Bannert ist in vielerlei Hinsicht aufschlussreich. Die Motive und Materialien, mit denen sie sich auseinandersetzen, stehen im Spannungsverhältnis zur Architektur und zum Dekor von Schloss Morsbroich, mit denen sie in gewisser Weise harmonieren, aber auch entschieden brechen. Zu Beginn der Barockzeit bis mindestens 1700 war die wissenschaftliche Auffassung von der Idee geleitet, die Natur als Abbild des göttlichen Willens zu sehen und durch das Studium der Naturgesetze der göttlichen Wahrheit näher zu kommen. Gegen Ende der barocken Epoche verstand man den Menschen hingegen als handelndes Subjekt und die Natur als ein Gebilde aus passiven und reaktiven Objekten. Diese Tendenzen zeigen sich auch in der Gestaltung der hiesigen Schloss- und Gartenanlage, die 1775 im Stil des Rokokos errichtet wurde. Der Zeitgeist des Barocks ist von der Normierung des Alltags und dem Streben nach Klassifikation geprägt. Etikette, Ritus und Hierarchie strukturieren die ständische Gesellschaftsordnung wie auch die Architektur und Kunst, die durch eine prunkvolle Ausstattung und Farbgestaltung mit aufwendigen Stuck- und Zierelementen Status, Macht und Gestaltungskraft im Absolutismus zur Schau stellen. Auch bei Berit Schneidereit und Jennifer Bannert lassen sich einige bildnerische Ideale des Barocks erkennen. Die ausgeprägten Hell-Dunkel-Kontraste, die Lichtsetzungen und das Spiel mit Tiefendimensionen erinnern entfernt an barocke Darstellungen. Inhaltlich schlagen sie jedoch gänzlich andere Wege ein: Das Bild ist relativ. Es liefert keine eindeutigen Sichtweisen mehr. Es ist vielmehr die eigene Betrachtung, die sich in das Gesehene einschreibt.



Jennifer Bannert, Berit Schneidereit
Reprise
27. Januar – 24. März 2024
Museum Morsbroich, Leverkusen

Die Ausstellung ist ein Teil von An den Rändern, ein Kooperationsprojekt zwischen dem Museum Morsbroich und dem Kunstverein Leverkusen, kuratiert von Miriam Edmunds und Maxie Fischer. Drei Präsentationen an beiden Orten beschäftigen sich mit persönlichen Erzählungen, der Vergänglichkeit politischer Systeme, der Durchdringung von Natur und Kultur und dem Bedürfnis, all das als Bild zu fassen. Das Austarieren von Zufall und Geschichte, das Erblicken des Fremden im Vertrauten sowie das Verhältnis von Welt und Bild sind wiederkehrende Momente und laden ein zu einer Bewegung, die von den Rändern zur je eigenen Erfahrung führt.

Das Projekt findet im Rahmen von Residence NRW⁺ statt, ein Stipendienprogramm für Künstler:innen und Kurator:innen. Residence NRW⁺ ist ein Programm der Kunsthalle Münster, eine Einrichtung der Stadt Münster. Gefördert durch das Ministerium für Kunst und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalens, die Kunststiftung NRW, die Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia und die Kulturstiftung des Kantons Thurgau.