Berit Schneidereit,
placement I, Silbergelatineabzüge auf Barytpapier, 2022; Jennifer Bannert, Pacific Avenue, Acryl auf Aluminium, 2023.
Der Blick in den
Himmel, auf Sterne, Wolken, Dunst und Nebel. Umrisse
von Pflanzen, die Sicht auf das Blattwerk eines wuchernden Gartens.
Jennifer Bannert und Berit Schneidereit verbindet die scheinbare
Flüchtigkeit ihrer Motive, die in ihrer Betrachtung eine ungeahnte
konzeptuelle und poetische Tiefe entfalten. Inmitten der barocken
Szenerie von Schloss Morsbroich, mit ihren überbordenden
Verzierungen, Wandfarben und Spiegelflächen entsteht eine
Auseinandersetzung mit Licht und Dunkelheit, Innen und Außen sowie
Natur und Kultur, die an die Vorstellungen jener Stilepoche
anschließt und sie mit gegenwärtigen Fragestellungen verknüpft.
Berit Schneidereit, retouch XIV und X, Fotogramm auf Silbergelatineabzug, 2022.
Jennifer Bannert, La Forme du Ciel I und II, Öl auf Leinwand, 2020; Berit Schneidereit, retouch XIV, Fotogramm auf Silbergelatineabzug, 2022.
Ob
auf grob strukturierten Leinwandstoffen oder
reflektierenden Aluminiumplatten, die Malerei von Jennifer
Bannertwird von einem diffusen Leuchten getragen. Die abstrakten
Naturdarstellungen verzichten auf jedwede Perspektivierung und
figurative Darstellung. Als Landschaftsbilder
bieten sie keinerlei Kulisse für menschliche Aktivität. Stattdessen
werden einzelne Phänomene von Natur selbst zu Handlungsträgern, als
etwas Formloses und Unabgeschlossenes entziehen sie sich einer
beherrschenden Instanz. Diese Erhabenheit findet ihr Gegenstück im
gegenwärtigen Kontrollverlust des Menschen, der sich angesichts der
Auswirkungen des Klimawandels einem neuen Verständnis der
Kräfteverhältnisse im Anthropozän stellen muss.
Jennifer Bannert, Untitled, Öl auf Aluminium, 2021.
Neben
den Himmelskörpern sind meteorologische Phänomene wie Starkregen
und Überflutungen wiederkehrende Themen in Jennifer Bannerts Werk.
Das Malen mit Öl auf Aluminium, wie etwa bei Untitled,
ist ein nur bedingt kalkulierbarer Prozess, da die Farben nicht wie
auf einer Leinwand eingesaugt werden, sondern sich über die
abweisende Oberfläche bewegen. Wie der malerische Prozess bleibt
auch die Wahrnehmung der Malerei fluide. Der Blick auf reflektierende
Flächen bezieht die Umgebung zwangsläufig ein, indem der
Lichteinfall mit jeder Positionierung eine andere Farbwirkung
erschafft. Ähnlich des Ineinanders von Natur und Kultur, sind wir
als Betrachtende Teil eines Geschehens, in dem wir uns unaufhörlich
um die Bilder bewegen und uns zu den Reflexionen verhalten, die von
der metallischen Oberfläche ausgehen.
Jennifer Bannert, Berit Schneidereit
Reprise
27. Januar – 24. März 2024
Museum Morsbroich, Leverkusen
Die Ausstellung ist ein Teil von An den Rändern, ein Kooperationsprojekt zwischen dem Museum Morsbroich und dem Kunstverein Leverkusen, kuratiert von Miriam Edmunds und Maxie Fischer. Drei Präsentationen an beiden Orten beschäftigen sich mit persönlichen Erzählungen, der Vergänglichkeit politischer Systeme, der Durchdringung von Natur und Kultur und dem Bedürfnis, all das als Bild zu fassen. Das Austarieren von Zufall und Geschichte, das Erblicken des Fremden im Vertrauten sowie das Verhältnis von Welt und Bild sind wiederkehrende Momente und laden ein zu einer Bewegung, die von den Rändern zur je eigenen Erfahrung führt.
Das Projekt findet im Rahmen von Residence NRW⁺ statt, ein Stipendienprogramm für Künstler:innen und Kurator:innen. Residence NRW⁺ ist ein Programm der Kunsthalle Münster, eine Einrichtung der Stadt Münster. Gefördert durch das Ministerium für Kunst und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalens, die Kunststiftung NRW, die Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia und die Kulturstiftung des Kantons Thurgau.
Der Blick in den
Himmel, auf Sterne, Wolken, Dunst und Nebel. Umrisse
von Pflanzen, die Sicht auf das Blattwerk eines wuchernden Gartens.
Jennifer Bannert und Berit Schneidereit verbindet die scheinbare
Flüchtigkeit ihrer Motive, die in ihrer Betrachtung eine ungeahnte
konzeptuelle und poetische Tiefe entfalten. Inmitten der barocken
Szenerie von Schloss Morsbroich, mit ihren überbordenden
Verzierungen, Wandfarben und Spiegelflächen entsteht eine
Auseinandersetzung mit Licht und Dunkelheit, Innen und Außen sowie
Natur und Kultur, die an die Vorstellungen jener Stilepoche
anschließt und sie mit gegenwärtigen Fragestellungen verknüpft.
Die künstlerische
Praxis von Berit Schneidereit impliziert
immer auch ein Nachdenken über die Geschichte der Fotografie und die Konstitution ihrer Bilder. Entgegen gängigen Lesarten als Medium der
Visualisierung und Wirklichkeitsreferenz, beruft sie sich auf den
Konstruktionscharakter fotografischer Erzeugnisse und konzipiert ihre
Arbeiten in einem Prozess der Distanzierung von den ursprünglichen
Bildquellen und hin zu einem autonomen Bildwerk. Mittels vielfältiger
Techniken erzeugt Berit Schneidereit Konstellationen aus Nähe und
Ferne, Realität und Suggestion, womit sie ein beständiges
Changieren zwischen Bildraum und Realraum entwirft.
Augenscheinlich
wird das bei placement I, ein dreiteiliges Arrangement von
Silbergelatineabzügen auf Barytpapier an mobilen Metallgestellen. In
diesem dichten Ensemble von Blättern greift Berit Schneidereit die
Bewegung in einem verwilderten Garten auf, in dem sich die Natur
wieder ungehindert ausbreiten kann. Der fragmentarische
Charakter des fotografischen Bildes als etwas Ausgeschnittenes, der
Welt Entrissenes,
wird durch das Nebeneinander der Abzüge zu einem größeren Bild
zusammengesetzt. Die Möglichkeiten in der Dunkelkammer bestimmen
hier die Grenzen der Darstellung. Die Unzulänglichkeiten bei der
Belichtung der großen Formate erzeugen Ausschnitte, die uns immer
tiefer in den Bildraum eines einzigen Motivs führen. Als
Installation frei im Raum
scheint das Außen
nun buchstäblich in die Ausstellung einzutreten
und als
skulpturale Formation den Raum zu bewohnen.
Berit Schneidereit, retouch XIV und X, Fotogramm auf Silbergelatineabzug, 2022.
Ausgangspunkt für die Serie retouch sind digitale Aufnahmen, die dann in der Dunkelkammer durch analoge Bearbeitungen verschaltet werden. Dazu nutzt Berit Schneidereit die bis in die Anfänge der Fotografie in den 1830er Jahren zurückreichende Verfahrensweise des Fotogramms. Das Bild entsteht bei ihr nicht nur mittels Negativ, sondern ebenso durch Rasterschablonen, die direkt auf dem Fotopapier belichtet werden. Auf diese Weise erzeugt sie Bilder, deren Kompositionen der scheinbar „flachen“ Konstitution von Fotografie widerstreben und kaum mehr eine Unterscheidung in Grund und Schichtung zulassen. Auch motivisch werden florale und technische Strukturen zusammengeführt, in denen die Überschneidung und Durchdringung von Natur und Kultur zum Ausdruck kommt – jedoch ohne sich der Mehrdeutigkeit zu entziehen und das Verhältnis von Bild und Störung aufzulösen.
Jennifer Bannert, La Forme du Ciel I und II, Öl auf Leinwand, 2020; Berit Schneidereit, retouch XIV, Fotogramm auf Silbergelatineabzug, 2022.
Ob
auf grob strukturierten Leinwandstoffen oder
reflektierenden Aluminiumplatten, die Malerei von Jennifer
Bannertwird von einem diffusen Leuchten getragen. Die abstrakten
Naturdarstellungen verzichten auf jedwede Perspektivierung und
figurative Darstellung. Als Landschaftsbilder
bieten sie keinerlei Kulisse für menschliche Aktivität. Stattdessen
werden einzelne Phänomene von Natur selbst zu Handlungsträgern, als
etwas Formloses und Unabgeschlossenes entziehen sie sich einer
beherrschenden Instanz. Diese Erhabenheit findet ihr Gegenstück im
gegenwärtigen Kontrollverlust des Menschen, der sich angesichts der
Auswirkungen des Klimawandels einem neuen Verständnis der
Kräfteverhältnisse im Anthropozän stellen muss.
Das
Diptychon La Forme du Ciel entstand in Auseinandersetzung mit Flammarions Holzstich, einer nicht
datierten Darstellung eines unbekannten Künstlers, die erstmals 1888
als Illustration in dem Unterkapitel „La
forme du Ciel“ (Die Form des
Himmels) in
einer populärwissenschaftlichen Publikation zur Meteorologie von
Camille Flammarion veröffentlicht wurde. Sie zeigt eine menschliche
Figur, die sich am Horizont als Rand ihrer Welt befindet. Ihr Kopf
aber dringt durch das Himmelsgewölbe und blickt auf eine ringartige
Abfolge fremder Sphären. Jennifer Bannert begegnet dieser
Darstellung mit einer gegenwärtigen Interpretation,
die malerische Abstraktion und mathematische Vernunft miteinander in
Beziehung setzt.
Jennifer Bannert, Untitled, Öl auf Aluminium, 2021.
Neben
den Himmelskörpern sind meteorologische Phänomene wie Starkregen
und Überflutungen wiederkehrende Themen in Jennifer Bannerts Werk.
Das Malen mit Öl auf Aluminium, wie etwa bei Untitled,
ist ein nur bedingt kalkulierbarer Prozess, da die Farben nicht wie
auf einer Leinwand eingesaugt werden, sondern sich über die
abweisende Oberfläche bewegen. Wie der malerische Prozess bleibt
auch die Wahrnehmung der Malerei fluide. Der Blick auf reflektierende
Flächen bezieht die Umgebung zwangsläufig ein, indem der
Lichteinfall mit jeder Positionierung eine andere Farbwirkung
erschafft. Ähnlich des Ineinanders von Natur und Kultur, sind wir
als Betrachtende Teil eines Geschehens, in dem wir uns unaufhörlich
um die Bilder bewegen und uns zu den Reflexionen verhalten, die von
der metallischen Oberfläche ausgehen.
Der
Dialog zwischen Berit Schneidereit und Jennifer Bannert ist in
vielerlei Hinsicht aufschlussreich. Die Motive und Materialien, mit
denen sie sich auseinandersetzen, stehen im Spannungsverhältnis zur
Architektur und zum Dekor von Schloss Morsbroich, mit denen sie in
gewisser Weise harmonieren, aber auch entschieden brechen. Zu Beginn
der Barockzeit bis mindestens 1700 war die wissenschaftliche
Auffassung von der Idee geleitet, die Natur als Abbild des göttlichen
Willens zu sehen und durch das Studium der Naturgesetze der
göttlichen Wahrheit näher zu kommen. Gegen Ende der barocken Epoche
verstand man den Menschen hingegen als
handelndes Subjekt und die Natur als ein Gebilde aus passiven und
reaktiven Objekten. Diese Tendenzen zeigen sich auch in der
Gestaltung der hiesigen Schloss- und Gartenanlage, die 1775 im Stil
des Rokokos errichtet wurde. Der Zeitgeist des Barocks ist von der
Normierung des Alltags und dem Streben nach Klassifikation geprägt.
Etikette, Ritus und Hierarchie strukturieren die ständische
Gesellschaftsordnung wie auch die Architektur und Kunst, die durch
eine prunkvolle Ausstattung und Farbgestaltung mit aufwendigen Stuck-
und Zierelementen Status,
Macht und Gestaltungskraft im Absolutismus zur Schau stellen. Auch
bei Berit Schneidereit und Jennifer Bannert lassen sich einige
bildnerische Ideale des Barocks erkennen. Die ausgeprägten
Hell-Dunkel-Kontraste, die Lichtsetzungen und das Spiel mit
Tiefendimensionen erinnern entfernt an barocke Darstellungen.
Inhaltlich schlagen sie jedoch gänzlich
andere Wege ein: Das Bild ist relativ. Es liefert keine eindeutigen
Sichtweisen mehr. Es ist vielmehr die eigene Betrachtung, die
sich in das Gesehene einschreibt.
Jennifer Bannert, Berit Schneidereit
Reprise
27. Januar – 24. März 2024
Museum Morsbroich, Leverkusen
Die Ausstellung ist ein Teil von An den Rändern, ein Kooperationsprojekt zwischen dem Museum Morsbroich und dem Kunstverein Leverkusen, kuratiert von Miriam Edmunds und Maxie Fischer. Drei Präsentationen an beiden Orten beschäftigen sich mit persönlichen Erzählungen, der Vergänglichkeit politischer Systeme, der Durchdringung von Natur und Kultur und dem Bedürfnis, all das als Bild zu fassen. Das Austarieren von Zufall und Geschichte, das Erblicken des Fremden im Vertrauten sowie das Verhältnis von Welt und Bild sind wiederkehrende Momente und laden ein zu einer Bewegung, die von den Rändern zur je eigenen Erfahrung führt.
Das Projekt findet im Rahmen von Residence NRW⁺ statt, ein Stipendienprogramm für Künstler:innen und Kurator:innen. Residence NRW⁺ ist ein Programm der Kunsthalle Münster, eine Einrichtung der Stadt Münster. Gefördert durch das Ministerium für Kunst und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalens, die Kunststiftung NRW, die Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia und die Kulturstiftung des Kantons Thurgau.