Jens Klein
Bilder vom Schlafen & Gehen
Jens Klein, Hundewege. Index eines konspirativen Alltags, Archiv-Pigmentdruck, 2009-2022.
Jens Klein arbeitet
mit Fotografien, die er nicht selbst
gemacht hat, deren Anordnung aber durch ihn bestimmt ist. Er sucht,
recherchiert, rekonstruiert. Er bearbeitet, kombiniert, imaginiert.
Mit seinen als Serien konzipierten Werkgruppen befragt er historische
Zusammenhänge und eröffnet Lesarten abseits bekannter Narrative.
Den Ausgangspunkt für seine Arbeiten findet er in Archiven,
Nachlässen und Sammlungen sowie auf Flohmärkten oder in Fotoalben.
Die Bilder stammen aus unterschiedlichen Konstellationen, die von
privaten Erinnerungen über bürokratische Vorgänge bis hin zu
repressiven Maßnahmen reichen. Das,
was sie abbilden, kann nicht ohne die Kontexte ihrer
Entstehung gedacht werden. Und dennoch werden sie bei Jens Klein zu
Beobachtungen zweiter Ordnung, die eine Bildlichkeit sichtbar werden
lassen, die über die Umstände und Intention ihrer Produktion
hinausgeht.
Jens Klein, Schlafende Deutsche, Vintage-Fotografien, 2016.
Schlafende
Deutsche umfasst Ansichten aus den Jahren 1932 bis 1992. Die
Serie besteht aus Originalabzügen aus vier politischen Systemen: der
Weimarer Republik, dem sogenannten Dritten Reich zur Zeit des
Nationalsozialismus, der Deutschen Demokratischen
Republik sowie der Bundesrepublik Deutschland vor und nach der
Wiedervereinigung. Die abgebildeten Personen befinden sich in einem
Zustand äußerer Ruhe, der jedoch wenig über ihr eigentliches,
inneres Befinden oder gar ihren Platz in der deutschen Geschichte
verrät. Täter, Opfer, Randfiguren, unbeteiligte Dritte? In
ihrer linearen Abfolge von Zeiten, Menschen und Staatsformen, geben
die Fotografien wenig Hinweise zu ihrer Herkunft. Stattdessen
verweisen sie auf eine visuelle Ähnlichkeit einander widerstrebender
Bewusstseinszustände von Traum, Entspannung, Erschöpfung und Tod.
Als Zusammenstellung lässt sich die Serie als eine Erzählung
gewöhnlicher Szenen lesen, die als Kontrapunkte zu den großen
Narrativen einer Ereignisgeschichte erscheinen.
Mit Blick auf die Epoche einer sich beschleunigenden Moderne,
stehen die Bilder für das existenzielle Bedürfnis
nach Ruhe und Regeneration – Menschen im Zustand der Ermüdung, bei
alltäglichen Pausen auch in Zeiten gesellschaftlicher Ohnmacht. Wir
wissen nicht, wer diese Menschen sind. Wir können nur
erahnen, was in ihren Träumen geschieht.
Jens Klein, Hundewege. Index eines konspirativen Alltags, Archiv-Pigmentdruck, 2009-2022; Schlafende Deutsche, Vintage-Fotografien, 2016.
Die Arbeiten der
Werkgruppe Hundewege. Index eines konspirativen Alltags basieren auf Fotografien aus dem Bundesarchiv, aufgenommen und
zusammengetragen durch die Organe der Staatssicherheit der DDR. Seit
über 15 Jahre stellt Jens Klein unregelmäßig Anfragen zur Einsicht
in die Akten und Dokumente des Stasi-Unterlagen-Archivs. Einst als
Beweismaterial entstanden, deuten die Bilder aus heutiger Sicht die
triviale und gleichermaßen exorbitante Form der Überwachung an.
Angeordnet als Typologien zeigen sie die damalige Einschätzung
verdächtigen Verhaltens: Menschen in alltäglichen Situationen, beim
Ausführen des Hundes, auf dem Moped, in der Nähe vom Sportplatz.
Die illegitimen Bilder der Bespitzelung – ganz offensichtlich
schnell und im Verborgenem aufgenommen – belassen die dargestellten
Personen in einer Unkenntlichkeit, die ihnen entgegen der
eigentlichen Intention, Anonymität und Diskretion zugesteht. Das
grobe Korn des Films, die engen Ausschnitte der Teleobjektive aus
erhöhten Perspektiven geben den Bildern in ihrer Anordnung als
Tableau und Reihe eine nahezu abstrakte Qualität, die den
eigentlichen Informationsgehalt der Bilder zur Diskussion stellt. Die
Auswahl und Bearbeitung durch Jens Klein macht etwas
sichtbar, was in der Auseinandersetzung um die vermeintliche
Banalität der Aufnahmen oft in den Hintergrund
rückt: Die Art und Weise wie die abgebildeten Mitmenschen als Bild
gefasst sind, legt eine Autorschaft nahe, die über das bloße
Erfassen von Sachverhalten hinausgeht. Insbesondere die Aufnahmen der
Mopedfahrer erinnern an Bildkonventionen wie sie durch das Filmgenre
des Roadmovies seit den 1960er Jahren geprägt werden, wobei
die Fahrt auf den amerikanischen Highways als Metapher für die Suche
nach Freiheit und Identität dient. Geht man diesen Gedanken nach,
dann erlaubt es die
suggestive Kraft der Bilder, die Personen hinter der Kamera und das
ihnen zur Verfügung stehende Bildrepertoire zum eigentlichen Motiv
zu machen.
Jens Klein, Ballons, Archiv-Pigmentdruck, 2013.
Auch die Serie Ballons eröffnet einen Assoziationsrahmen, der den
Entstehungskontext der Bilder unterläuft. Genau genommen handelt es
sich dabei um überdimensionierte Plastiktüten, die gefüllt mit
Luft dafür verwendet wurden, Flugschriften von der BRD in die DDR zu
überführen. Ausgelöst von einer Zeitschaltuhr, sollte eine kleine
Explosion die politischen Botschaften hinter der innerdeutschen Grenze
freigeben. Für die hier dargestellten Ballons gilt das nicht. Sie
wurden von der Staatssicherheit gesichtet und protokollarisch in Bild
und Text erfasst. Jens Klein zeigt die Flugkörper samt
den verzeichneten Informationen zu Windstärke, Ort und Datum
des Funds. Die Aufnahmen aus dem Stasi-Unterlagen-Archiv sind in
dieser Hinsicht eine indirekte Dokumentation,
welche den knapp 1400 Kilometer langen Grenzverlauf zur Anschauung
bringt, ohne diesen explizit zu zeigen. Doch die Bildebene der
Ballons
vermag es auch, sich über das Kleingedruckte und ihre historische
Realität zu erheben. Tatsächlich und sinnbildlich im
Schwebezustand, können die Flugkörper auch andere Referenzen
aufrufen. Sie erinnern nicht nur an Wetterballons, auch
der Verweis auf die Geschichte der Luftfahrt ist ihnen ebenso
inhärent wie die utopische Idee von der Überwindung aller Grenzen.
Jens Klein, Ballons, Archiv-Pigmentdruck, 2013.
Die
Vielschichtigkeit fotografischer Bilder ist eine Grundkonstante im
Werk von Jens Klein. Wenn es die Aufgabe der Geschichtsschreibung
ist, Geschehenes in einen systematischen und nachvollziehbaren
Zusammenhang zu bringen, dann können seine Arbeiten als ein Plädoyer
für den Zufall gelesen werden. Sein konzeptueller Ansatz erlaubt es
die Produktion, Zirkulation und Rezeption von Bildern in einem Gefüge
zu sehen, das über kausale Verbindungen hinausgeht und die
Kontingenz als unbedingte Dimension historischer Begebenheiten
andeutet. Die Fragen danach warum ein Bild entsteht, wie es
überdauert und was es eigentlich zeigt, sind dann nicht weniger
wesentlich, lassen aber mitunter eine andere Perspektiven auf Bilder
als historische Quellen zu.
Jens Klein
Bilder vom Schlafen und Gehen
27. Januar – 24. März 2024
Kunstverein Leverkusen
Die Ausstellung ist ein Teil von An den Rändern, ein Kooperationsprojekt zwischen dem Museum Morsbroich und dem Kunstverein Leverkusen, kuratiert von Miriam Edmunds und Maxie Fischer. Drei Präsentationen an beiden Orten beschäftigen sich mit persönlichen Erzählungen, der Vergänglichkeit politischer Systeme, der Durchdringung von Natur und Kultur und dem Bedürfnis, all das als Bild zu fassen. Das Austarieren von Zufall und Geschichte, das Erblicken des Fremden im Vertrauten sowie das Verhältnis von Welt und Bild sind wiederkehrende Momente und laden ein zu einer Bewegung, die von den Rändern zur je eigenen Erfahrung führt.
Das Projekt findet im Rahmen von Residence NRW⁺ statt, ein Stipendienprogramm für Künstler:innen und Kurator:innen. Residence NRW⁺ ist ein Programm der Kunsthalle Münster, eine Einrichtung der Stadt Münster. Gefördert durch das Ministerium für Kunst und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalens, die Kunststiftung NRW, die Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia und die Kulturstiftung des Kantons Thurgau.